Alternative Wohnformen

Alternative Wohnformen

Selbstbestimmtes Wohnen in Gemeinschaft                              Christa Mohn,

                                                                                                         Diplom — Psychologin

                                                                                                       www.lebensbogen-mohn.de

 

Einführung

 

Aufgrund von Vereinzelungen und Isolierungstendenzen in unserer Gesellschaft gewinnen gemeinsame Lebens- und Wohnformen immer mehr an Attraktivität.

Seien es Wohngemeinschaften für die jüngere oder auch zunehmend für die ältere Generation, Baugruppen, verschiedenste Wohnprojekte darunter die weit verbreitete Form der MehrgenerationenProjekte, oder Lebens -und Ökodörfer für Jung und Alt.

Selbstbestimmtes gemeinsames Wohnen mit Gleichgesinnten ist ein Trend der Zeit.

 

Das „WIR“ bekommt bei den alternativen Wohnformen wieder mehr Gewicht. Das heißt nicht, dass das Individuelle der Mitbewohner/innen negiert wird; es wird vielmehr dringend gebraucht, um eine lebendige, kreative und kooperierende Gemeinschaft zu verwirklichen. Persönliche Erfahrungen und Kompetenzen jedes Einzelnen sind gefragt, was nicht nur zur Mitbestimmung sondern auch zur Mitgestaltung einer Gruppe führt. Gemeinschaften mit kooperierendem Charakter legen den Samen für Wertschätzung des Einzelnen und erhöhen damit die Motivation zur Gestaltung des eigenen Lebens als auch des Lebens in einer Gemeinschaft.

Es gibt inzwischen sehr viele verschiedene Formen des Zusammenlebens, die sich auch überschneiden können. Zum Verständnis hier einige der wesentlichsten Wohnformen:

 

Wohngemeinschaften

In den 60ern wuchsen die WGs wie Pilze aus dem Boden. Manch einer erinnert sich vielleicht noch an riesige Geschirrberge und lange Debatten, wie nun was und von wem gemacht wird.

Eine Wohngemeinschaft kann eher zufällig entstehen, wie zum Beispiel bei Studenten oder es gibt Zweck-WG’s wie es bei den Senioren der Fall sein kann.

In der Regel gibt es Küche, Bad, pro Mitbewohner/innen ein Zimmer, und falls Gemeinschaftsräume vorhanden sind, werden sie gemeinsam genutzt. Bei dieser Wohnform leben die Personen auf recht engem Raum und in relativer Nähe zueinander. So kann Geborgenheit, Vertrautheit und Fürsorglichkeit entstehen, aber auch die Reibungsflächen und Konflikte sind viel eher spürbar als bei anderen Wohnformen.

 

Hausgemeinschaft

In Hausgemeinschaften finden sich Menschen zusammen, die nicht anonym unter einem Dach leben wollen, sondern mehr in Beziehung zueinander stehen möchten; oft sind es sogar Freunde und Bekannte, die sich zusammen tun. Hier hat jede Mietpartei einen eigenen Wohnbereich beziehungsweise eine abgeschlossene Wohnung. Zum Teil haben Hausgemeinschaften auch Gemeinschaftsräume oder einen Garten.

 

Baugemeinschaften

Eine Baugemeinschaft findet sich zusammen, um gemeinschaftlich zu bauen, möglichst preisgünstig Baumaterialien zu kaufen und handwerkliche Eigenleistungen zu nutzen. Das Bauen steht meistens im Mittelpunkt, und es können sich aus dieser Gemeinsamkeit Freundschaften, aktive Nachbarschaft oder sogar Wohnprojekte entwickeln, aber dies ist nicht zwingend der Fall. Über eine erfolgreiche Baugemeinschaft im Freiburger Vauban (Kleehäuser) wurde ein Film gedreht, der die verschiedenen Phasen und das Miteinander gut wieder gibt: Wohnen im Vauban, www.hartmut-wagner.de

 

Wohnprojekte

In den Wohnprojekten gibt es mehrere Wohneinheiten, meistens kleine abgeschlossene Wohnungen und für das Gemeinschaftsleben entsprechende Räume. Es kann sein, dass Menschen, die in ein Wohnprojekt ziehen möchten, ihr eigenes Hab und Gut drastisch verringern müssen, weil zum Beispiel Möbel einer Drei-Zimmer-Wohnung nicht in eine Einzimmer-Wohnung passen. „Lieber gut leben als zu viel haben“ heißt es im Zukunftsreport „Deutschland 2030“ von Opaschowski. So kann ein konsumärmeres Leben durchaus ein beziehungsreicheres Leben werden. Was das gemeinsame Wohnen so attraktiv macht, ist, dass der Isolation und Einsamkeit entgegen gewirkt wird. Eine Gemeinschaft braucht aber trotzdem Menschen, die auch die Fähigkeit haben, mit sich allein sein zu können. Es gilt ein gutes Gleichgewicht von Nähe und Distanz zu finden.

Ziel der Wohnprojekte ist ein soziales Miteinander, gegenseitige Unterstützung und Fürsorge. Einige Projekte verbindet auch eine gemeinsame Aufgabe.

Rund um und in Freiburg gibt es noch nicht viele Gemeinschaften, die auch tatsächlich ein Haus bewohnen. Es gibt aber Gruppen in Gründungsphasen, die sich teilweise schon seit mehreren Jahren treffen. Die Suche nach einem gemeinsamen Haus oder Wohnraum ist langwierig; es gibt einfach zu wenige Möglichkeiten. Die hohen Grundstückspreise sind zum Beispiel ein großes Hindernis. Hier sind  Politik und Wirtschaft gefragt, die noch sehr zögerlich auf diesen Bedarf reagieren.

Einige der Wohnprojekte sind auf der Homepage des Netzwerks für gemeinschaftliches Wohnen Freiburg aufgeführt: www.gewo-netz.de

 

Mehrgenerationen-Projekte

Eine Form von Wohnprojekten sind auch Mehrgenerationen-Projekte. Hier leben Jung und Alt, also mehrere Generationen, oft auch Familien in jeweils eigenen Wohnungen unter dem Aspekt der gegenseitigen Unterstützung zusammen. Es gibt in den Häusern (oft gehören mehrere dazu) offene Treffpunkte und Gemeinschaftsräumlichkeiten, in denen sich die Menschen verschiedener Generationen begegnen können.

Ein  Beispiel dafür ist das Zähringer Turmcafe in Freiburg, das 2011 entstanden ist und 100 Wohnungen umfasst. Drei Gemeinschaftsräume können von den Anwohner/innen für Aktivitäten in Eigeninitiative genutzt werden; die Angebote werden im Monatsprogramm für alle bekannt gegeben. Ein Kindergarten ist in den Häuserkomplex integriert. Für den Kontakt zwischen den Generationen ist Eigeninitiative gefragt. Jung und Alt haben hier die Chance zu kooperieren, die gegenseitige Unterstützung kann belebt werden.

Die Generationenbeziehungen werden sich als das „soziale Netz“ der Zukunft erweisen, schreibt Opaschowski. Ein weiteres und sehr interessantes und komfortables Mehrgenerationen-Projekt gibt es in Essen: www.generationenkult.de

 

Lebensgemeinschaften und Ökodörfer

In diesen Gemeinschaften leben oft viele Menschen zusammen; bis zu 150 Menschen in deutschen Lebensgemeinschaften, und im europäischen Raum auch bis zu 600 Personen pro Gemeinschaft. Sie haben in verschiedenen Bereichen wie Spiritualität, Ökologie, Politik, Wirtschaft oder auch Sozialem gemeinsame Ziele und Werte. In einigen Lebensdörfern gibt es gemeinsame Arbeitsmöglichkeiten, wodurch die Mitbewohner/innen noch mehr miteinander zu tun haben als in den Wohnprojekten. Teilweise fließt das erwirtschaftetes Geld in die Gemeinschaften und wird gemeinsam verwaltet. Einen guten Überblick über Projekte in Europa gibt der Film: „Ein neues Wir“, www.neueswir.info

 

Allgemeine Überlegungen

Neben der Schwierigkeit, einen Wohnraum für eine Gemeinschaft zu finden, sehe ich zwei Themenfelder, die eine besondere Beachtung brauchen: die Finanzierung und das Zusammenleben. Wird gekauft, gemietet, gibt es eine Möglichkeit durch einen Investor? Wie werden Ausgaben überhaupt gehandhabt? Wie wird mit Geld umgegangen? Für diese  Fragen müssen unbedingt  klare Absprachen und ein transparenter Umgang in der Gemeinschaft gefunden werden. Da dieses Thema den Artikel sprengen würde, möchte ich dies hier nicht weiter ausführen.

 

Mehr eingehen möchte ich auf das Thema des gemeinschaftliche Zusammenlebens.

Die verschiedenen Menschen mit ihren ganz unterschiedlichen Persönlichkeiten in einer Gemeinschaft prägen mit ihren Bedürfnissen und Wünschen das Zusammenleben. Da, wo man aufeinander trifft, „menschelt“ es, niemand ist perfekt, und neben den sehr schönen Erlebnissen von Dazugehören, Geborgen-sein, Für-einander-da-sein, Wertgeschätzt werden und Teil eines größeren Ganzen zu sein, gibt es immer auch Reibeflächen. Es braucht einen bewussten und offenen Umgang damit. Gut ist, wenn eine Gemeinschaft sich darüber im Klaren ist und dafür schon im Vorfeld Strukturen geschaffen werden.

Um wirklich zu einer Kooperation miteinander zu kommen, braucht es eine große Menge Lernbereitschaft, Toleranz, Geduld, und Kompromissbereitschaft von jeder/m Einzelnen. Manches muss ausgehandelt werden, und diese Verhandlungen mit vielen Menschen können oft sehr zäh ablaufen. Dabei helfen Kommunikationsstrukturen, zum Beispiel „Gewaltfreie Kommunikation“ oder „Scott-Peck-Runden“. Klare Absprachen über die Entscheidungsformen sind unabdingbar. Bei einem bewussten Umgang mit diesen „Reibungen“ können diese Schwierigkeiten sehr zum persönlichen Wachstum der Einzelnen beitragen, sowie das Gruppengefühl stärken.

 

Ich lebe seit drei Jahren in einem Wohnprojekt; wir sind 13 Erwachsene im Alter von 55 bis 78 Jahren. Vieles von unserem Gemeinschaftsleben basiert auf Freiwilligkeit. Zu der Freiwilligkeit gehört auch, dass jede/r darauf achtet, die eigenen Grenzen zu wahren, auf den Anderen zu schauen und die Gemeinschaft im Blick zu haben. Ich erlebe dies als eine positive Verantwortung, die mich bereichert. Oft ist es mir eine Freude, etwas für alle zu tun.

Diese Verantwortung ist bei den einzelnen Mitbewohner/innen sehr unterschiedlich ausgeprägt, und doch lernen wir an unserem runden Tisch mit und von einander. Der runde Tisch findet alle drei Wochen statt und gibt jedem Bewohner/in die Möglichkeit, Dinge anzusprechen, die er/sie gerne verändern möchte.

Ein wesentliche Bereicherung im Gemeinschaftsleben sind die spontan sich ergebenden Situationen, ein Skatspiel im Garten, etwas wird vorgelesen, ein Kinobesuch, ein Gespräch im Flur oder spontane gemeinsame Spaziergänge. Wir kochen für einander und essen gerne zusammen.

Dies kann hier nur ein sehr kleiner Einblick in ein Gemeinschaftsleben sein und ist eher als Appetitanregung gedacht. Diejenigen, die sich für alternative Wohnformen interessieren, sollten sehr aufrichtig über eigene Bedürfnisse und Wünsche nachdenken und -fühlen. Eine klare eigene Wohnperspektive zu entwickeln, hilft sehr, das richtige Wohnprojekt zu finden oder zu entwickeln. Aufgrund meiner persönlichen Wohnerfahrungen und meiner Beratungsarbeit als Psychologin biete ich eine Beratung für Menschen an, die einen Wechsel der Wohnsituation in Betracht ziehen. Ich nenne es Wohn-Wende-Beratung. Es geht darum die gegenwärtige und vergangene Wohnsituation zu erfassen, Erfahrungen auszutauschen, Perspektiven für die Zukunft zu finden und eine Checkliste mit den eigenen Wünschen und der angestrebten Wohnsituation zu erstellen.

 

Fazit

Neue Wohnformen sind lebendige Experimente, die mit ihren Bewohnern „wachsen“.

Das Kooperieren mehrerer Menschen scheint mir am Erfolg versprechendsten zu sein, um unsere Zukunft überhaupt möglich zu machen.

Es geht nicht um die Macht der Mehrheit, sondern um die Weisheit der Vielfalt.

Je früher wir damit beginnen, dies zu üben, desto besser.

Ein Platz dafür ist das Wohnen in Gemeinschaften.

 

Literatur

eurotopia-Verzeichnis, Gemeinschaften & Ökodörfer in Europa
Dörte Fuchs & Jutta Orth, Umzug in ein neues Leben
Dorette Deutsch, Lebensträume kennen kein Alter
Marshall B. Rosenberg, Gewaltfreie Kommunkation
M.Scott Peck, Gemeinschaftsbildung
Kosha Anja Joubert, Die Kraft der kollektiven Weisheit
Horst W. Opaschowski, Deutschland 2030, Wie wir in Zukunft leben

 

Links

www.gewo-netz.de, Netzwerk für gemeinschaftliches Wohnen Freiburg
www.wohnprojekte-portal.de
www.kompetenznetzwerk-wohnen.de
www.fgw-ev.de, Forum Gemeinschaftliches Wohnen e.V. – Bundesvereinigung
www.generationenkult.de, Mehrgenerationsprojekt in Essen
www.kleehaeuser.de
www.hartmut-wagner.de